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Sonntag, 30 Mai, 2021

Nachdem ich mich in den ersten Episoden dieses Podcasts der Frage nach der Ganzheitlichkeit gewidmet und Dir außerdem etwas über Hypnose erzählt habe, komme ich heute auf das Thema Gefühle. Vielleicht hast Du Dich schon einmal gefragt, wie Gefühle entstehen oder für was sie gut sind? Vielleicht möchtest Du auch wissen, wie Du mit unangenehmen Gefühlen besser umgehen kannst? Auf diese und andere Fragen möchte ich Dir gerne Antworten geben: Was sind eigentlich Gefühle?

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Was ist der Unterschied zwischen Emotion, Gefühl und Affekt?

Als ich vor einigen Jahren angefangen habe, Psychologische und Psychotherapeutische Literatur lesen, bin ich auf unterschiedliche Begriffe gestoßen: Einmal wird da von Gefühlen gesprochen, dann wieder von Emotionen, manchmal auch von Affekten. Und da habe ich mich natürlich gefragt: Was ist da jetzt der Unterschied. Letztendlich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine allgemeingültige und exakte Definition für diese Begriffe gibt. Je nach Theorie werden in der Psychologie die Wörter „Emotion“, „Gefühl“ und „Affekt“ unterschieden oder eben synonym gebraucht. Ich selbst verwende sie der Einfachheit halber meist gleichbedeutend.

Was ist der Unterschied zwischen Emotion, Gefühl und Affekt?

Was ich allerdings von Emotionen bzw. Gefühlen unterscheide – und ich versuche da auch sehr konsequent im alltäglichen Sprachgebrauch zu sein – sind Körperempfindungen und Kognitionen. Wenn Du jetzt verwirrt bist, ist das erst einmal kein Wunder, denn in der Alltagssprache ist das eher unüblich – außer man hat vielleicht lauter Psychotherapeuten im Freundes- und Bekanntenkreis.

Eine Emotion, also das, was wir umgangssprachlich als Gefühl bezeichnen, ist durch unterschiedliche Erregungszustände erleb- und erfahrbar.

Körperempfindungen sind z.B. Hunger, Durst, Kälte, Wärme, Druck auf der Haut, Müdigkeit, körperlicher Schmerz oder solche Dinge. Auch Zittern, Schwitzen, Anspannung von Muskeln, Herzklopfen sind Körperempfindungen.

Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Körperempfindungen und Gefühlen. Einerseits hat ein Gefühl immer eine Körperempfindung zu Folge. Wenn man sich z.B. schämt fängt man an zu Schwitzen und bekommt einen roten Kopf. Andersherum können Körperempfindungen auch Gefühle zur Folge haben. Bei Menschen mit Angststörungen ist das z.B. der Fall. Sie interpretieren körperliche Phänomene wie Herzklopfen auf eine Weise, dass sie Angst bekommen.

Eine Kognition ist ein Gedanke. Auch zwischen Kognitionen und Emotionen gibt es Zusammenhänge. Angedeutet habe ich das eben schon, als ich sagte, dass Angstpatienten körperliche Phänomene interpretieren. Eine Interpretation IST eine Kognition. Aber darauf komme ich gleich noch genauer zu sprechen.

Was sind Grundgefühle bzw. Basisemotionen?

Die Fähigkeit, verschiedene Gefühle zu erleben, haben vermutlich schon Neugeborene oder sogar Kinder in einem pränatalen, also vorgeburtlichen Stadium. Was Kinder erst im Verlauf ihrer Entwicklung lernen ist das Benennen dieses emotionalen Erlebens und damit das Differenzieren und Kategorisieren, also das Einordnen in ein Sprachschema.
Nun haben sich schlaue Psychologen damit beschäftigt, welche Gefühle für uns Menschen grundlegend sind. Die bekanntesten dieser Psychologen sind Michael Lewis, Silvan Tomkins sowie sein Schüler Paul Eckman, um mal ein paar Namen zu nennen.

Welche Gefühle gibt es?

Deren Theorien gemeinsam ist, dass es nur wenige grundlegende Emotionen gibt, die allem Menschen angeboren und kulturunabhängig sind. Je nach Theorie sind das zwischen 6 und 9 an der Zahl. Das breite Spektrum unseres Gefühlslebens kommt dann nur durch die Mischung und die Intensität dieser Grundgefühle bzw. Basisemotionen zustande. Nach Paul Ekman sind es sieben Gefühle, die kulturunabhängig anhand des Gesichtsausdrucks erkennbar werden. Diese Gefühle sind Freude, Ärger bzw. Wut, Ekel, Furcht bzw. Angst, Trauer, Überraschung und Verachtung.

Was sind Darstellungsregeln?

Wie diese Gefühle im sozialen Miteinander gezeigt werden, unterscheidet sich allerdings je nach biographischem und kulturellem Hintergrund. Der Gefühlsausdruck wird laut Eckman durch „Display rules“, also Darstellungsregeln, modifiziert. Je nachdem, in welcher Kultur Du aufgewachsen bist und in welcher Situation Du Dich befindest, wirst Du Dich anders Verhalten, wenn Du Dich z.B. freust, traurig bist oder Dich ärgerst. Das ist leicht nachvollziehbar, wenn Du daran denkst, dass es wohl eher ungewöhnlich wäre, wenn Dir z.B. ein Japaner vor Freude um den Hals fallen würde. Ebenso wirst Du bei einer Feier in einem eher förmlichen Rahmen – z.B. wenn Dich Dein Chef zum Dinner eingeladen hat – bei einem Witz eher verhalten lachen, während Du auf einer lockeren Party unter guten Freunden vielleicht lauthals losprustest.

Was besagt das Kognitive Modell der Gefühlsentstehung

Eine Emotion wird ausgelöst durch unmittelbare Wahrnehmungen. Oder durch Erinnerungen. Doch wie kommt es dazu, dass Menschen in gleichen Situationen unterschiedliche Gefühle empfinden? Weshalb reagiert z.B. Margit beim Anblick einer Spinne ängstlich, während Heiko vollkommen gelassen bleibt? Warum wird Emma traurig, wenn sie das Lied „Hungry Eyes“ aus dem Film Dirty Dancing hört und Jasmin hingegen fröhlich? Warum erlebt Jana eine eigene Powerpoint-Präsentation vor Publikum als willkommene Herausforderung und Heiko rutscht bei dem Gedanken an diese Aufgabe das Herz in die Hose?

Richtig! Emotionen ergeben sich daraus, wie eine Situation kognitiv, d.h. gedanklich bewertet bzw. interpretiert wird. Dem kognitiven Modell zur Emotionsentstehung zufolge ist ein Gefühl das Ergebnis folgenden Prozesses:

Erstens:

Wir beobachten eine Situation. Also erstmal ganz objektiv, sofern objektiv hier das richtige Wort ist. Denn schon was wir wahrnehmen, also auswählen … und was wir ausblenden … ist abhängig von unserem Vorwissen. Welche Reize aus der Umwelt wir als wichtig und welche als unwichtig betrachten, also unsere Aufmerksamkeit erregen, ist Ergebnis eines Filterprozesses in unserem Gehirn. Aber lassen wir das mal für einen Moment beiseite. Also: Erster Schritt im Gefühlsprozess: beobachten eine Situation … objektiv im Sinne, als dass ein anderer Beobachter diese Situation genauso beschreiben würde, wie wir.

Zum Beispiel:

Ein Mann, nennen wir ihn Achim, sitzt in einer Bar. Er sieht, wie eine Frau in einem roten Kleid auf ihn zu kommt und lächelt. Diese Beobachtung würde ihm ein – in Anführungszeichen – „neutraler Beobachter“ sicherlich bestätigen.

Zweitens:

Wir interpretieren diese Beobachtung, geben ihr eine Bedeutung und leiten daraus Konsequenzen für uns ab.

Im Beispiel:

Während die Frau in dem roten Kleid auf Achim zukommt und ihn anlächelt, denkt er: „Sie nimmt mich nicht ernst, weil sie lächelt. Das rote Kleid ist übertrieben aufreizend, so eine Nutte, sie will bestimmt mit mir spielen, so wie die anderen Frauen, die mich angemacht haben und mich dann sitzen gelassen haben.“

Drittens:

Wir bewerten die Interpretation, die wir aus unserer Beobachtung abgeleitet haben, als gut, schlecht, angenehm, unangenehm oder neutral. Wir finden die phantasierte Auswirkung das inspirierend, peinlich, schlimm, toll oder ähnlich.

Im Beispiel:

Achim denkt: „So eine Unverschämtheit“

Das Ergebnis aus diesem Denkprozess ist dann eine Emotion, die wiederum unser Handeln beeinflusst.

Im Beispiel: Achim ärgert sich und macht ein grimmiges Gesicht.

Ein anderer Mann, nennen wir ihn Bert, hätte sich vielleicht gefreut und die Frau in dem roten Kleid angelächelt,. Warum? Weil er die Situation anders Interpretiert hätte. Vielleicht hätte er sich gedacht: „Das rote Kleid sieht toll aus. Sie hat es angezogen, weil sie heute Abend einem Mann kennen lernen will. Sie lächelt mich an, wie findet mich bestimmt attraktiv. Ich habe gute Karten bei ihr, denn ich bin ein dufter Typ. Ich werde heute Abend noch ein Rendezvous haben, klasse!“

Aufgrund seiner anderen Vorerfahrungen mit Frauen hat Bert die Situation also ganz anders Bewertet als Achim. Er hat in dieser Situation also auch ein anderes Gefühl und verhält sich anders.

Wozu sind Gefühle gut?

Doch wozu sind Gefühle gut? Denn wenn gerade wir Menschen mit unseren hochentwickelten Gehirnen im Gegensatz zu anderen Lebewesen ein großes Gefühlsleben besitzen, dann muss das evolutionsbiologisch einen Vorteil haben.

Gefühle sind in Situationen gut, in denen wir, um unser Überleben zu sichern, eine schnelle Einschätzung der Lage vornehmen müssen. Wenn es darum geht, schnell Handeln zu müssen, dann ist es nötig, die Komplexität der Welt gezielt und schnell zu reduzierten.
Durch unser Fühlen beurteilen wir automatisch und innerhalb von Sekundenbruchteilen unsere Lage in Abhängigkeit unserer Bedürfnisse und Ziele.
Je nachdem, wie wir situationsbedingt und aufgrund unserer subjektiven Wahrnehmung und Erfahrung die Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung einschätzen, haben wir unterschiedliche Gefühle. Ein Gefühl löst einen Handlungsimpuls aus. Es treibt uns an. Oder es hemmt uns und bremst uns aus. Wir bewegen uns auf das Ersehnte zu oder wir vermeiden den Kontakt und ziehen uns zurück. Gefühle dienen so zum einen der schnellen Orientierung. Zum anderen teilen wir uns durch den Ausdruck von Gefühlen anderen mit: Denn Gefühle führen, wie wir schon gehört haben, zu unwillkürlichen, zum Teil automatisch ablaufenden Körperreaktionen. Diese sind für andere Menschen von außen sichtbar, z.B. durch Abwenden des Blickes, Lächeln, Zittern, Erröten oder Erbleichen.

Innerhalb eines sozialen Systems dienen Gefühle auf diese Weise zur Regulierung des Beziehungsgeflechts. Sie beeinflussen die Spielregeln im sozialen Miteinander. Einerseits sind sie die psychische Voraussetzung für die spontane Bildung sozialer Systeme. Und soziale Systeme wie z.B. die Familie brachen wir Menschen zum Überleben. Denn wir sind soziale Wesen, die von Geburt an bis zum Lebensende auf andere angewiesen sind – natürlich in unterschiedlichem Ausmaß. Andererseits können Gefühle auch die Entstehung von sozialen Systemen verhindern oder wieder auflösen. Ein junger Erwachsener verlässt z.B. sein Elternhaus, wenn er sich über die Regeln seiner Eltern ärgert und macht dann sein Ding.

Zusammengefasst sind Emotionen interaktive Ereignisse, die der zwischenmenschlichen Kommunikation, Verständigung, Handlung und Regulation von Beziehung dienen.
Gefühle zu empfinden und auszudrücken ist also eine nützliche Fähigkeit für die Verständigung im sozialen Miteinander.Es kann aus ganzheitlicher Perspektive deshalb nicht beabsichtigt sein, das Gefühlserleben und den Ausdruck von Gefühlen durch pädagogische oder therapeutische Maßnahmen gänzlich zu unterdrücken.Außer natürlich man möchte bestimmte Machtstrukturen etablieren oder bestehende aufrecht zu er-halten. Für einen diktatorischen Machthaber oder Patriarchen kann es natürlich vorteilhaft sein, wenn die Untertanen z.B. keinen Ärger mehr empfinden, der sie antreibt, gegen bestehende Strukturen zu protestieren. Aber das nur am Rande.

So gesehen kann es nicht darum gehen, unangenehme Gefühle gänzlich auszuschalten. Vielmehr möchte ich als Therapeut und Coach die Fähigkeit meiner Klienten fördern, Intensität, Dauer und Qualität von Gefühlen so zu regulieren, dass sie damit verbundene Verhaltensweisen, die sie bisher am erreichen ihrer Lebensziele gehindert haben, nach und nach verändern können.

Literaturhinweise:

  • Stavemann, Harrlich (2010): Integrative KVT – Die Therapie emotionaler Turbulenzen. Basel: Beltz Verlag
  • Dreitzel, Hans Peter (1998): Emotionales Gewahrsein. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
  • Simon, Fritz B (2012): Einführung in die Systemtheorie des Konflikts. Heidelberg: Carl-Auer
  • PID – Psychotherapie im Dialog (2018). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
  • Staemmler, Frank M. (2017): Kontakt und Verbundenheit – Relationalität in der Gestalttherapie. Grevelsberg: EHP


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