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Mittwoch, 29 Juni, 2022

Diese siebte Folge beschäftigt sich mit Traumdeutung. Hattest Du schon einmal einen Traum, bei dem Du Dich gefragt hast, was dieser wohl zu bedeuten hat? Träumst Du vielleicht sogar einen bestimmten Traum immer wieder und überlegst: Was bedeuten wiederkehrende Träume? Oder gehörst Du zu den Menschen, die sich nicht oder nur selten an Träume erinnern und sich Fragen: Wie kann ich mich an Träume erinnern? Bist Du eher skeptisch und fragst Dich: Haben Träume eine Bedeutung? Welche Bedeutung haben Träume? Wie kann man Träume deuten? Wie kann man Träume verstehen? Wie arbeitet ein Therapeut bei einer psychologischen Traumdeutung? Wie funktioniert online Traumdeutung?

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Traumdeutung im Altertum und Mittelalter

Das Alte Testament der Bibel enthält rund zwanzig Träume und auch im neuen Testament und im Koran finden sich Träume. In den antiken Hochkulturen war es üblich, Träume zu deuten: bei den Sumerern, im alten Ägypten, bei den Babyloniern, im antiken Griechenland und bei den Römern. Man verstand Träume als Botschaften von Gott bzw. der Götter oder Dämonen und hatten prophetischen Inhalt. Die Menschen glaubten, mittels Traumdeutung Hinweise auf die Zukunft zu bekommen.

In schamanischen Kulturen ist der Traum ein Zugang zu einer anderen Wirklichkeit, die als genauso real angesehen wird, wie unsere Alltagswirklichkeit.

Ab dem Zeitalter der Aufklärung, das um das Jahr 1700 einsetzte, war der Glaube daran, dass Träume Botschaften einer höheren Macht seien, philosophisch nicht mehr haltbar. Weissagung durch Traumdeutung wurde als Aberglauben abgetan.

Traumdeutung nach Sigmund Freud

Erst mit dem Erscheinen Sigmund Freuds „Die Traumdeutung“, am 4. November 1899 wurde die Beschäftigung mit Träumen für die Psychotherapie wichtig. Welchen Stellenwert Freud der „Traumdeutung“ für seine Psychoanalyse zuschrieb, zeigt sich daran, dass er das Erscheinungsdatum seines Werkes auf 1900 vordatierte. Für ihn war der Traum die „via regia“, d.h. der Königsweg zu einem von ihm postulierten Unbewussten. Träume verstand er als eine symbolische Wunscherfüllung. Die aus der Kindheit stammenden tabuisierte Sehnsüchte würden sich im Traum auf verschlüsselte Weise zeigen.

Freuds Technik der Traumdeutung war die freie Assoziation. Seine Patient*innen sollten auf der Couch liegend ihren Einfällen zu den Trauminhalten freien Lauf lassen. Sie sollten ihrem Psychoanalytiker alles unzensiert erzählen, was ihnen zu einem Traum in den Sinn kam. Freud deutete die Traumsymbolik auf der Grundlage seiner eigenen psychoanalytischen Triebtheorie. Er ging davon aus, dass die Träume in Verbindung zu einer von der Gesellschaft unterdrückten Sexualität stehen. Für ihn repräsentierten die im Traum vorkommenden Personen und Dinge real existierende andere Personen oder Dinge aus der Biographie des Patienten. Freud sah seine Aufgabe als Therapeut darin, durch passende Deutung die Traumsymbole zu übersetzen. Er wollte als Archäologe der Seele eine Verbindung zur biographischen Realität herzustellen und so die unbewussten seelischen Konflikte der Patienten und Patientinnen aufdecken.

Traumdeutung in der analytischen Psychologie C.G. Jungs

Für Freuds Schüler Carl Gustav Jung war diese Sicht auf Träume zu beschränkt. Zwar betrachtete auch Jung Träume als Ausdruck des Unbewussten. Doch war er nicht wie Freud der Meinung, jeder Traum sei sexueller Natur. Vielmehr verstand er den Traum als einen metaphorischen Ausdruck der inneren Wirklichkeit des Träumers.

C.G. Jung führte den Begriff des „kollektiven Unbewussten“ in die Psychotherapie ein. Nach Jungs Vorstellung gibt es einen Bereich der Psyche, die nicht der persönlichen Lebenserfahrung eines Menschen entspringt, sondern dem kulturellen Erbe. Traummotive, die aus dem kollektiven Unbewussten kommen, speisen sich aus Religion, Mythen, Märchen, Sagen und anderen Überlieferungen der Menschheitsgeschichte.

Jung war anders als Freud an den direkten Einfällen der Patient*innen zu ihren Träumen interessiert. Im Dialog mit seinen Patient*innen lenkte er die Aufmerksamkeit jedoch auch gezielt auf bestimmte Inhalte des Traumes, in denen er Ähnlichkeiten zu Elementen aus Mythologie und archaischen Symbolen erkannte. Auf diese Weise wollte er Verständnis für Traumerlebnisse schaffen, die sich allein aus dem Zusammenhang der Biographie nicht erklären lassen.

Traumdeutung in der Gestalttherapie

Eine weitere Herangehensweise zur Traumdeutung praktizierte Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie. Perls war überzeugt, dass jeder Teil des Traums ein Aspekt der Persönlichkeit des Träumers ist – nicht nur die Person, sondern jede Einzelheit, jede Stimmung, alles, was dem Träumer über den Weg läuft. Perls ließ seine Klient*innen nacheinander alle Traum-Elemente wie in einem Theaterstück spielen. So wollte er erreichen, dass die Klientin sich voll mit allen ihren Persönlichkeitsaspekten identifiziert, besonders mit denen, die ihr fremd und nicht zu ihr gehörig erschienen. Die Klientin sollte also z.B. so tun, als ob sie der Weg wäre, den sie im Traum gesehen hatte, die Mülltonne am Wegesrand, die achtlos weggeworfene Zeitung usw. Den Traumteilen sollte sie dann nacheinander eine Stimme geben, also z.B. „Ich bin der Weg, ich bin schmal und gerade und sorge für die Verbindung von …“

Meinte Perls in diesem Prozess Konflikte oder andere Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Traumaspekten zu erkennen, regte er seine Klientin dazu an, einen Dialog zwischen diesen Teilen zu führen.

Das Ziel von Perls Vorgehensweise war die Integration von entfremdeten Persönlichkeitsanteilen. Er wollte seinen Klient*innen zu einer Ganzheit verhelfen, die er mit Heilung gleichsetzte.

Was sagt die Neurowissenschaft über Traumdeutung?

Im Laufe der Zeit haben Psychotherapeuten viele weitere Methoden und Herangehensweisen zur Traumdeutung entwickelt. Doch was sagt die moderne Neurowissenschaft über Träume?

Die Traumforschung steht vor dem grundsätzlichen Problem: Ein Traum kann, anders als z.B. Handlungen, nicht unmittelbar beobachtet werden. Ein Wissenschaftler kann zwar feststellen, dass sein Probant träumt: anhand von Messungen der Hirnströme oder Hautleitfähigkeit und Beobachtung von Herzschlag, Atmung, Augenbewegungen, Körperbewegungen und Muskelzucken. Er kann die verschiedenen Gehirnaktivitäten mittels Tomographie sichtbar machen. Über den Inhalt eines Traumes und das gefühlsmäßige Traumerleben kann der Träumer aber nur hinterher, also nach dem Aufwachen, anhand der Erinnerungen Auskunft geben.

Kein Wunder also, dass sich auch Neurowissenschaftler über die Funktion des Träumens nicht einig sind. Ich finde Hypothesen, die besagen, dass Träumen der Gehirnreifung dient … oder zum Verarbeiten und Lösen von Problemen aus dem Tagesbewusstsein … Einige Forscher meinen in den neuronalen Aktivitäten, die sie mittels Tomografie beobachten konnten, Belege für Freuds Strukturmodell der Psyche gefunden zu haben, das der Freud‘schen Traumdeutung zugrunde liegt. Andere sind der Ansicht, dass wir Träumen, um zu vergessen, die Trauminhalte also quasi mentaler Abfall sind, mit dem wir uns nicht weiter beschäftigen sollten.

Haben Träume eine Bedeutung??

So komme ich letztendlich zu der Frage: Haben Träume nun eine Bedeutung oder nicht? Und wenn ja, welche Bedeutung haben Träume?

Ganz ehrlich: Ich kann diese Frage nicht allgemein beantworten, ich weiß es nicht. Fest steht für mich: In dem Moment, in dem mich ein Traum beschäftigt, hat er eine Bedeutung für mich. Ich messe ihm sozusagen Bedeutung bei. Indem ich über ihn nachdenke, wird er bedeutungsvoll für mich.

Wir Menschen sind von Natur aus so angelegt, Ereignissen in unserem Leben einen Sinn zuzuschreiben, Begebenheiten Bedeutungen zu verleihen. Für mich und für viele Menschen scheint es wichtig zu sein, das eigene Leben zu verstehen. Selbst dann, wenn es möglicherweise gar nichts zu verstehen gibt. Das ist vielleicht so, weil wir etwas brauchen, das uns Orientierung gibt. Träume sind so gesehen genau so vielsagend oder bedeutungslos wie alles andere im Leben auch.

Nebenbei bemerkt: In dem Moment, in dem wir über einen Traum nachdenken und ihn zu erklären versuchen, befinden wir uns in einem anderen Bewusstseinszustand, als dem, dem der Traum entsprungen ist. Denn ein Traum ist das geistige Produkt des Traumbewusstseins während des Schlafes. Er ist nicht unabhängig von dem Bewusstseinszustand, dem er entsprungen ist. Der Träumer konstruiert beim Erzählen des Traums also genau genommen eine aktuelle Bedeutung.

Warum soll man Träume deuten?

Was heißt das nun für meine Herangehensweise bei der Traumdeutung? Wie gehe ich damit um, wenn mir ein Klient von seinen Träumen erzählt? Warum sollte man überhaupt Träume deuten?

Ich bin in dieser Hinsicht ein Pragmatiker: Alles, was dazu dient, meinen Klienten zu unterstützen, mehr Bewusstheit über sich selbst, mehr Klarheit über seine Wünsche und Ziele im Leben zu bekommen, herauszufinden, was er möchte und was nicht, alles was ihm hilft, ein sinnerfülltes, selbstbestimmtes Leben zu führen oder alte seelische Wunden zu heilen – alles das, was dazu beiträgt nutze ich. So auch Träume, die er mit in die Therapiesitzung bringt. Ich nutze den Traum als ein Medium im Dialog mit dem Klienten. Er dient dazu, in Berührung zu kommen mit Gefühlen, Sehnsüchten, Hoffnungen, Konflikten und un- bzw. unheilvoll verarbeiteten Ereignissen seines Lebens. Manchmal liegen im Traum auch kreative Lösungen für Probleme wie Schätze verborgen, die sich zeigen, wenn man sie mit den neugierig-interessierten Augen eines Schatzsuchers betrachtet.

Wie deutet man Träume?

Ich möchte betonen, dass ich mich beim Traumdeuten in der Rolle eines Geburtshelfers sehe. Nicht ich bin der Experte für den Traum einer Klientin, der ihn deutet. Die Deutung entsteht vielmehr im Raum, der im Dialog zwischen uns geschaffen wird. Dabei entscheidet immer die Klientin, was stimmig für sie ist und was nicht. Ich habe in soweit Einfluss auf die Deutung, als dass ich eine mir passend erscheinende Methode vorschlage, wie sie mit dem Traum arbeiten kann., Ich leite den Prozess an, gebe durch interessiertes Nachfragen Anregungen oder versuche durch aktives Zuhören das Verständnis meines Gegenübers zu vertiefen.

Bei der Auswahl der Methodik lasse ich von meiner Intuition leiten. Um eine Ahnung zu bekommen, welche der vielen Herangehensweisen hilfreich ist, muss ich den Träumer kennenlernen. Ich benötige Informationen über seine Biographie und seine derzeitige Lebenssituation. Ich möchte wissen, welche Lebensfragen ihn beschäftigen und welche Ziele er hat. Wichtig ist mir Transparenz, denn das schafft Vertrauen. Deshalb erkläre ich dem Klienten meist nicht nur die Methode, sondern auch, warum ich genau diese vorschlage. Kommen wir mit einem Ansatz nicht weiter, verwerfen wir diesen und versuchen es mit einem anderen.

Was bedeuten wiederkehrende Träume?

Vor einiger Zeit erzählte mir eine Klientin von einem Traum, den sie nicht nur einmal, sondern im Laufe der Jahre in Abständen immer wieder träumte. Auch aus der Literatur sind mir wiederkehrende Träume oder Recurring Dreams bekannt. Wiederholungsträume sind häufig Alpträume. Ich gehe davon aus, dass ein ungelöster Konflikt oder ein Trauma mit dem wiederkehrenden Traum verbunden ist, das gelöst werden will.

Was kann man bei einem Alptraum machen?

Es gibt eine einfache, aber oft sehr erfolgreiche Methode, auch zuhause mit Alpträumen zu arbeiten: Stell Dir vor, Du bist ein Drehbuchautor oder Regisseur und könntest dem Traum eine neue Wendung geben, indem Du ihn umschreibst. Welche Veränderungen würdest Du vornehmen? Welche Figuren und Requisiten würdest Du entfernen, welche neu dazu nehmen? Welche Rollen würdest Du wie neu besetzen? Nimm Dir einen Block und einen Stift und schreibe den veränderten Traum auf. Aber verändere nicht zuviel und nicht alles – es sollte schon noch erkennbar sein, dass der ursprüngliche Traum dem veränderten Traum zugrunde liegt. Ändere nur die Details, die entscheidend dafür sind, dass sich Deine Gefühle beim Vorstellungserleben auf eine Dir angenehme Weise verändern. Welche Auswirkungen hat es womöglich auf Dein zukünftiges Leben, wenn Du den Traum auf diese neue Weise träumst?

Wenn Du Dich auf diese Weise mit dem Alptraum beschäftigst, bin ich sicher, dass sich auch Dein nächtliches Traumerleben im Laufe der Zeit zum positiven zu verändern beginnt. Wenn nicht, dann melde Dich bei mir!

Wie kann man sich an Träume erinnern?

Grundsätzlich träumen alle Menschen während des nächtlichen Schlafes. Es gibt aber Personen, die sich nicht oder nur sehr selten an ihre Träume erinnern. Wenn auch Du zu diesem Personenkreis gehörst aber neugierig auf Deine Träume bist, dann kannst Du folgendes tun: Lege Dir ein Notizbuch und einen Stift neben das Bett. Nimm Dir fest vor, sofort nach dem Aufwachen den Stift zur Hand zu nehmen und alles aufzuschreiben, was Du noch weißt – auch wenn es anfangs vielleicht nur wenige Bruchstücke sein mögen. Dieser Vorsatz gilt auch dann, wenn Du nachts aufwachst. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Du Dich auf diese Weise im Laufe der Zeit immer besser und intensiver an Deine Träume erinnern wirst.

Ich habe diese Methode eine Zeitlang während meiner Psychotherapie-Ausbildungszeit praktiziert und kann Dir sagen: Es funktioniere. Allerdings habe ich es dann irgendwann auch wieder sein lassen, denn es ist richtig anstrengend geworden, mehrmals nachts ganze Seiten zu füllen.

Musik:


Literaturhinweise:

  • Staemmler, Frank-M. (1995): Der ‚leere Stuhl‘. Ein Beitrag zur Technik der Gestalttherapie. München: Pfeiffer
  • Perls, Frederick S. (1974): Gestalt-Therapie in Aktion: Stuttgart: Ernst Klett Verlag.
  • Yalom, Irvin D.(2002): Der Panama-Hut oder Was einen guten Therapeuten ausmacht. München: Goldmann Verlag.
  • Gendlin, Eugene / Wiltschko, Johannes (2007): Focusing in der Praxis – Eine schulenübergreifende Methode für Psychotherapie und Alltag. Stuttgart: Klett-Cotta.


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