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Sonntag, 19 September, 2021

In der letzten Episode meines Podcasts habe ich erklärt, was Gefühle sind, wie sie entstehen und welche Funktion sie in unserem Leben haben.
Diese fünfte Folge baut auf den Ausführungen der letzten Episode meines Podcasts auf. Um besser zu verstehen, was ich Dir im Folgenden näherbringen möchte, wäre es also gut, wenn Du Dir diese zuerst anhörst oder noch im Kopf hast: Was sind Gefühle, wie entstehen sie und welche Funktion haben sie für unser Überleben und für unser soziales Miteinander. Wie angekündigt geht es hier nun um das Thema Gefühlsregulation, also um die Frage: Wie kann man sein Gefühlsleben beeinflussen? Und weshalb sollte dies jemand wollen?

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Wie entstehen Gefühle?

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“
Dieses Zitat des griechischen Philosophen Epiket, dem Begründer der philosophischen Schule der Stoa, fasst gut zusammen, was ich zur die Entstehung von Gefühlen in Folge 4 ausgeführt habe:

Gefühle sind das Produkt aus einem aktiven Denkprozess. Wir interpretieren und bewerten unsere Wahrnehmungen auf Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen. Gleichzeitig beeinflussen wir durch unser Verhalten, das aus diesem Denkvorgang resultiert, die gegenwärtige Situation und damit auch die Erfahrungen, die wir machen. Die prägen wiederum unsere Weltsicht. Haben wir erst einmal eine feste Vorstellung und Meinung von den Dingen, kann es dazu kommen, dass diese wie eine selbsterfüllende Prophezeihung unser Bild von der Welt bestätigt. Wir sitzen dann buchstäblich in unser eigenen Filterblase, wie man es vielleicht schon im Zusammenhang mit dem Internet gehört hat: Da schlägt einem Amazon genau die Bücher vor, die wir kaufen wollen, Google zeigt uns die Restaurants an, die wir mögen und youtube schlägt uns Videos vor, die genau die Meinung vertreten, die zu unserer eigenen Ansicht passt. Der Suchalgorythmus dieser Internetseiten liefert uns diese Suchergebnisse aufgrund der Informationen aus unseren vorherigen Suchabfragen. Und ähnlich macht es auch unser Gehirn, wenn es um die Interpretation und Bewertung von Erfahrungen geht, aus denen unsere Gefühle resultieren.
Kurz gesagt: Wir fühlen wie wir denken. Zumindest dann, wenn es darum geht, eine Situation schnell einzuschätzen, um Orientierung für unser Handeln zu bekommen, sind Gefühle sehr nützlich.

Warum sollte man seine Gefühle verändern wollen?

Doch obwohl unsere Intuition uns in vielen Situationen recht nützlich sein kann, kommt es auch immer wieder vor, dass wir uns durch unser Fühlen selbst im Wege steht. Wir erreichen durch unser gefühlsgeleitetes Handeln nicht immer das, was wir für ein zufriedenes Leben benötigen. Viele Menschen holen sich therapeutische Unterstützung, weil sie dauerhaft unter unangenehmen Gefühlen leiden. Sie möchten lernen, ihre Gefühle besser zu regulieren, weil langfristig elementare Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, sie Lebensziele nicht erreicht haben und sie deshalb seelisch oder unter körperlichen Beschwerden leiden. Sie erleben in bestimmten Situationen eine Überflutung von Gefühlen, die sie als zu intensiv empfinden. Dann tendieren sie zu einem sozial unangemessenem Verhalten wie z.B. Wutanfällen. Dies führt oft zu sozialer Ablehnung: Ein Teufelskreis bzw. ein sich-selbst-bestätigener Prozess.

Oder sie unterdrücken unangenehme Gefühle, ziehen sich zurück, vermeiden bestimmte Situationen und neigen zu Suchtverhalten oder Zwängen.

Welche Fähigkeiten sind zur Gefühlsregulation nötig?

Für einen zielführenden Umgang mit Gefühlen benötigen wir die Fähigkeit, die Intensität, die Dauer und die Qualität unserer Gefühle zu regulieren. Wir müssen wir in der Lage sein, unsere eigenen Emotionen bewusst wahrzunehmen, zu erkennen, korrekt zu benennen und verbal sowie nonverbal auszudrücken. Wir müssen Gefühle anderer unterscheiden und verstehen können und in der Lage sein, uns in die Perspektive des anderen zu versetzen. Wir müssen die Bedürfnisse, die durch die eigenen Gefühle und die der anderen zum Ausdruck kommen, erkennen. Wenn nötig müssen wir eigene unangenehme Gefühle akzeptieren und aushalten können. Wir brauchen den Mut, uns Situationen auszusetzen, die unangenehme Gefühle auslösen, wenn es zum Erreichen von persönlich wichtiger Ziele notwendig sein sollte.

Welche Möglichkeiten zur Veränderung gibt es?

Wenn wir uns schlecht fühlen, gibt es mehrere Möglichkeiten zur Veränderung: Wir können versuchen, etwas im Außen zu verändern. Wir können versuchen, die Situation durch aktives Tun zu beeinflussen. Dazu benötigen wir die Fähigkeit, zu erkennen, was zu unserem Unwohlsein beiträgt. Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir durch unser Handeln nur indirekt Einfluss auf das Verhalten der anderen nehmen können.

Und manchmal ist eine gegenwärtige Situation oft gerade deshalb ein Problem, weil wir durch unsere erlernte innere Haltung immer und immer wieder auf eine ähnliche Weise handeln. Wir versuchen eine Strategie, die vielleicht früher einmal erfolgreich gewesen ist, immer und immer wieder anzuwenden, obwohl diese in der aktuellen Lage nicht mehr passt. Aus diesem Grund ist es bei Problemen oft hilfreich, nach innen zu sehen. Epiket rät deshalb: „Wenn wir also auf Schwierigkeiten stoßen, in Unruhe und Kümmernis geraten, dann wollen wir die Schuld niemals auf einen anderen schieben, sondern nur auf uns selbst, d.h. auf unsere Meinung von den Dingen.“

Was ist das ABCZ-Modell der kognitiven Verhaltenstherapie?

Wie lässt sich nun konkret an dem Gefühlserleben arbeiten? Als ein leicht anwendbares Werkzeug ist dafür das modifizierte ABCZ-Modell der integrativen kognitiven Verhaltenstherapie. A steht dabei für „Ausgangssituation“, B für Bewertungssystem, C für Konsequenz und Z für Ziel. Nach diesem Modell lassen sich Situationen nach folgendem Schema analysieren. Am besten machst Du die Übung schriftlich:

Suche Dir als erstes eine Ausgangssituation, die Dir Schwierigkeiten bereitet und die Du deshalb genauer untersuchen möchtest.
Versuche Dir die Situation genau vorzustellen und zunächst einmal so sachlich wie möglich zu beschreiben, also so, wie sie ein anderer von außen wahrnehmen könnte. Welche Personen sind beteiligt? Wo spielt die Szene? Was geschieht? Wie verhalten sich die beteiligten Personen? Bleibe erst einmal bei dem, was jeder Mensch ohne Vorwissen in dieser Situation wahrnehmen kann.

Im nächsten Schritt erforschst Du Dein Bewertungssystem: Du kannst Dich fragen: Was ist Deine persönliche Sichtweise (B1) auf die Situation? Wie siehst Du diese Situation mit Deinem Vorwissen? Wie denkst Du aufgrund Deines Vorwissens über diese Situation? Was hast Du für Vorannahmen? Weiter kannst Du Dich fragen: Welche Schlussfolgerungen (B2) ziehst Du aus Deiner persönlichen Sichtweise? Welche Konsequenzen vermutest Du?

Nun geht es um die Bewertung (B3): Werde Dir dann bewusst, wie Du das findest. Ist es für Dich schrecklich? Entsetzlich? Peinlich? Ist es schön, schade, egal oder eine Frechheit?

Im dritten Schritt wendest Du Dich den Gefühls- und Verhaltenskonsequenzen (C1 und C2) zu, die aus Deinem Bewertungssystem resultierenden. Mache Dir klar, wie Du emotional auf diese Bewertung reagierst. Welches Gefühl steigt dabei in Dir hoch, wenn Du so denkst? Mit welchen körperlichen Begleiterscheinungen ist es womöglich verbunden? Wie ist Deine Körperhaltung? Wie Deine Atmung? Dein Blick? Kannst Du es Dir zugestehen, dass Du Dich so fühlst? Oder versuchst Du krampfhaft, dieses Gefühl zu vermeiden, es Dir zu verbieten, weil „man“ so nicht fühlen sollte? Geht es deshalb erst womöglich einmal darum, Dich mit diesem Gefühl zu akzeptieren, auch wenn es unangenehm ist?
Nun stelle Dir vor und schreibe auf, wie Du Dich in dieser konkreten Situation verhältst. Was tust Du genau?

Wenn Du Dir dann noch einmal Deine persönliche Sichtweise und Deine Schlussfolgerungen anschaust, magst Du Dich vielleicht fragen: Wie kommst Du darauf? Weshalb muss das so sein? Ist das zwangsläufig so und nicht anders? Muss das unbedingt so kommen oder was könnte noch geschehen?

Im letzten Schritt definierst Du Dein Ziel (Z). Du kannst Dich fragen: Welches Gefühl findest Du in der vorgestellten Ausgangssituation sinnvoll und zielführend? Wie würdest Du Dich künftig gerne verhalten wollen, wenn Du wieder in diese Situation gerätst? Durch welches Verhalten könntest Du Dein Ziel besser erreichen?
Wie ließe sich über die Situation denken, damit man sich so fühlen und verhalten könnte?

Vielleicht hilft es Dir dabei, Dir zu überlegen: Wie würde ein anderer die gleiche Situation bewerten? Vielleicht Dein Partner oder Deine Partnerin, Dein bester Freund, der Papst, Buddha, der Dalai Lama oder die Bundeskanzlerin? Eine Person, die Du bewunderst oder liebst? Was geschieht, wenn Du die Situation tatsächlich mit anderen Augen sehen, anders darüber denken kannst? Möchtest Du weiterhin glauben, was Du selbst bisher über die Situation gedacht hast und bist Du bereit, die Konsequenzen weiter zu tragen? Oder bist Du bereit, vielleicht erst einmal versuchsweise auszuprobieren, wie es ist, Deine Denkweise oder Deine Moralvorstellung zu ändern?

Wie hilft Dir das ABCZ-Modell?

Die Idee dieser Vorgenhensweise ist folgende: Wenn Du immer wieder übst, auf diese Weise Dein Denken, Fühlen und Handeln rückblickend zu analysieren, dann beginnst Du auch im Alltag, Dein Denken automatisch zu erkennen und zu hinterfragen. So kannst Du lernen, die Art und Weise Deines Denkens langfristig zu verändern. Natürlich wirst Du in schwierigen Situationen erst einmal in der gewohnten Art reagieren. Doch wenn Du ähnlich wie ein Fußballspieler Standartsituationen vor dem Spiel übst, wirst Du allmählich merken, wie Du beginnst, im entscheidenden Moment inne zu halten, kurz zu überlegen und Dich dann aufgrund eines erweiterten Denk- und Handlungsspielraumes anders zu verhalten und zu fühlen.

Mir geht es manchmal so, dass ich in dem Moment über mich selbst schmunzeln muss, weil ich mich dabei ertappe, in alte Muster zu fallen. Das bloße Bewusstwerden verändert schon vieles.

Wann ist Coaching oder Psychotherapie sinnvoll?

Zugegeben: Es ist es nicht immer so leicht, seinen eigenen Denkmustern auf die Schliche zu kommen, weil viele unserer Glaubenssätze so tief von unserer Kultur geprägt und in ihr verwurzelt sind. Wir bewegen uns in unserer Kultur wie ein Fisch im Wasser. Wir merken gar nicht, wie sehr sie unsere Realität bestimmt, die Welt, von der wir meinen, dass sie so ist, wie sie ist.

Wenn Du also den Eindruck hast, alleine nicht weiter zu kommen, dann ist das für mich weder ungewöhnlich noch verurteilungswürdig. Im Gegenteil halte ich vor dem Hintergrund einer westlichen Gesellschaft, die Autonomie als eines der größten Ziele betrachtet, für sehr mutig, sich einzugestehen, Unterstützung zu benötigen. Ich möchte Dich deshalb ermuntern, Dir gegebenfalls professionelle Hilfe bei einem Psychologen, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker für Psychotherapie zu suchen.

Übrigens haben gut ausgebildete Psychotherapeuten in ihren Lehrjahren selbst Unterstützung von außen in Form einer Lehrtherapie von meist weit über 100 Therapiestunden bei einem erfahrenen Kollegen in Anspruch genommen, um sich auf diese oder andere Weise selbst zu reflektieren.
Unter Top-Managern oder Spitzensportlern ist es gang und gäbe, einen Coach oder Mentaltrainer zu konsultieren. Warum sollte es also für andere Menschen anrüchig sein, bei persönlichen Schwierigkeiten zum Psychologen zu gehen?

Musik:

Literaturhinweise:

  • Stavemann, Harrlich (2010): Integrative KVT – Die Therapie emotionaler Turbulenzen. Basel: Beltz Verlag
  • PID – Psychotherapie im Dialog (2018). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.


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